Über die Fehlerfreundlichkeit

 
„Du kannst keine Fehler machen.“ Richtig oder falsch? Beides. Warum? 
 
Weil es nicht falsch ist Fehler zu machen, sondern in Ordnung, also „richtig“. Sogar wichtig! Die Angst zu versagen ist die stärkste Wurzel der Selbstsabotage & Selbstverleugnung, und das grösste Hindernis von persönlichem Wachstum. 
 
Der Satz: „Ich kann keine Fehler machen. So etwas gibt es nicht.“ wird zu einem Pseudo-Spiri-Psycho Unsinn, wenn er dafür benutzt wird, die damit verbundene Versagensangst in den Schatten zu schieben. Diese Angst ist gekoppelt an die Angst bestraft / beschämt / verlassen / ausgeschlossen zu werden / ungeliebt, einsam allein zu sein / nicht dazuzugehören…, was vom Reptilien Gehirn evolutionär und biologisch immer noch als echte Gefahr, ja als lebensbedrohlich eingestuft wird. Und ja, all das fühlt sich nicht schön an. Aus dem Schatten hält uns diese Angst jedoch tatsächlich zurück … und klein. 
 
Sind wir aber als kleine Kinder daran hängen geblieben, was für Versager wir sind, weil wir hingefallen sind als wir gehen lernten? Nein. Vielleicht haben wir kurz und intensiv gefühlt, geschrien oder geweint, aber dann sind wir einfach aufgestanden und haben weitergemacht. Unser tiefster Lebensinstinkt war (und ist) unser dauernder Antrieb immer weiterzumachen. Weder haben wir dagegen angekämpft noch resigniert. 
 
Wir erhielten jedoch fortlaufend unterschiedliches (oder auch kein) Feedback zu unserem Verhalten von den Menschen, die damals für uns verantwortlich waren. Irgendwann begannen wir, diese Reaktionen zu verinnerlichen und das Wertesystem unserer Bezugspersonen zu übernehmen. Unsere ursprüngliche Einheit, unsere innere Welt begann sich zu spalten in Gut und Schlecht. 
 
Weil verständlicherweise niemand schlecht (oder gar falsch) und jeder gut sein will, begann ein kräfteraubender Kampf, der nicht zu gewinnen ist. Damals hing, zumindest in unserer zu dem Zeitpunkt kreierten Realität, die Gunst der Menschen, von denen wir tatsächlich abhängig waren, davon ab, wie gut es uns gelang „gut“ (brav, „richtig“ etc.) zu sein. Unsere daraus entstandenen Verhaltensweisen prägten uns zutiefst. Und tun es - unerkannt - bis heute; in Situationen, die nichts mehr mit der Vergangenheit zu tun haben. 
 
Vielleicht reagieren wir immer noch mit Anpassungsstrategien, vielleicht hat sich der Autoritätskonflikt - je nach Typ oder Situation - auch von innen nach aussen gekehrt in Rebellion. In diesem state of mind müssen wir konsequenterweise auch das Verhalten unserer Mitmenschen in Gut und Schlecht einteilen, sei es offen und direkt oder maskiert und verdeckt. 
 
Es ist tricky dies zu entlarven! Wir haben so viele Ideale und die dazugehörigen Schattenwelten erschaffen. Ein modernes Beispiel ist das Ideal „gesund“ zu leben (ich spreche hier von zwanghaftem Verhalten, selbstverständlich soll man gut zu sich schauen). Gesund ist gut. Die immensen Anstrengungen, einem Ideal wie diesem um jeden Preis zu entsprechen, sind zum Scheitern bestimmt, weil sie ja aus der Trennung in Gut/Schlecht, nicht aus unserem authentischen, heilen Sein kommen. Diese Einsicht hat etwas Ent-Täuschendes (Des-Illusionierendes), und zugleich bringt sie eine grosse Erleichterung und Frieden. Man kann endlich aufhören zu strampeln und straucheln, aus dem Strudel austreten, sich entspannen, und dabei - ganz nebenbei - gesünder werden. Was für ein Release! 
 
An-erkennen wir, dass Versagensgefühle sich echt und schlecht anfühlen, aber insofern nicht von grundlegender Bedeutung sind, als dass sie einem alten, nicht mehr relevanten Glaubenssystem entspringen, und nicht der Realität. Die Realität von hier und heute ist, dass wir in aller Regel nicht verbannt werden und nicht sterben müssen, wenn wir was falsch machen. Auch wenn wir die Wut anderer Menschen auf uns ziehen, enttäuscht von uns selbst sind oder uns schämen. Hier stecken zu bleiben, wäre der alte Film, immer und immer wieder auf repeat, die Schallplatte mit dem Sprung, dieselben Personen und Situationen manifestiert in diversen Kleidern, die ewig gedrehten Runden im Steinkreis.
 
Als reife Erwachsene können wir dies reflektieren. Durch Einsicht erhöht sich unsere Kapazität, schwierige Gefühle zu halten. Auf der Handlungsebene wissen wir uns zu helfen und sind dazu imstande, uns aus schwierigen, fordernden oder schmerzvollen Situationen wieder heil herauszumanövrieren, sei es mit oder ohne Hilfe. Wir können deshalb aus unserer (panischen) Überlebensangst erwach(s)en. Absolut gesetzte Glaubens- und Wertesysteme können hinterfragt und relativiert werden, sodass sie nicht mehr als starre Konstrukte zur Massregelung unser selbst und unserer Mitmenschen dienen, sondern ihren positiven Zweck erfüllen, nämlich Orientierung zu schenken. 
 
Manchmal sind in Zusammenhang mit Versagensängsten die Empfindung „das fühlt sich nicht gut an“, und die Stimme „lass es lieber sein“ trügerisch; nämlich dann, wenn sie aus der Komfortzone kommen und einen um jeden Preis darin festhalten wollen. Das ist eine gesunde Strategie des Nervensystems, sich in Sicherheit zu wahren, und dies wiederum jederzeit bedingungslos zu respektieren und würdigen. Um sich in die Lernzone hineinzuentwickeln und -entfalten ohne in die Panikzone zu geraten, dafür ist es wichtig, diese Mechanismen zu durchschauen und in einer Weise zu regulieren, die uns wachsen lässt ohne uns zu überfordern. Qualifizierte Begleitung kann dabei helfen, doch was in jedem einzelnen Fall die individuell richtige Dosis ist, kann nur jede/r selbst für sich spüren. 

Ein weiteres typisches Phänomen ist, dass man sich nach einer Veränderung schlecht fühlt und deshalb glaubt, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, verbunden mit massiven Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen. Im Grunde will ein Teil am liebsten zurück in die cozy Höhle, zurück in die Gebärmutter! Es ist aber normal und vorübergehend, dass man sich in einer neuen, unbekannten Situation erst mal hilf- und orientierungslos, überfordert, „falsch“ und irgendwie roh, nackt, also sehr verletzlich fühlt! Das heisst nicht, dass es falsch war diesen Schritt zu tun, im Gegenteil! Es zeigt an, wie mutig man war etwas zu riskieren, und zwar für das grosse Geschenk wahrhaftig zu fühlen, leben und wachsen! 
 
Diese Zeilen sollen anregen zu reflektieren und differenzieren, wo Rückzug, Vorsicht und Verzicht wichtig und angebracht sind, und wo Gefahr nicht mehr real ist, gewisse Strategien daher schlicht keinen Sinn mehr machen und uns hindern voranzuschreiten. Sie sollen dazu inspirieren, die eigenen Unzulänglichkeiten nicht als Widerspruch zur Vollkommenheit, sondern als Teil unserer Ganzheit zu verstehen und integrieren. 

Rock on! Geh wofür du brennst! In deinem Rhythmus. 
Und mach Fehler! Es geht nicht ohne. 
Du bist wichtig und richtig! Deine Würde ist unantastbar. 


© Therese im September 2023 

 
Buchempfehlung: „Ich bin ein Fehler und ich liebe es“ von Jeffrey Kastenmüller. Es kommt so gut wie nie vor, dass ich ein Buch zweimal lese, aber bei diesem ist es der Fall. Auch wenn ich bis heute nicht Jeffreys Meinung teile, dass ich es lieben sollte mich als Fehler zu fühlen (denn ich bin geliebt, immer, dieser „Job“ muss nicht zwingend und allein auf meinen Schultern lasten) - bin ich dankbar für seinen wachen Blick. 

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